Die grosse Weite

Fahrradfahren mit Laotse.

Schweden ist so unendlich gross und weit! Manchmal habe ich das Gefühl, wir knabbern mit unseren Tagesetappen nur ein kleines bisschen am unteren Rand der Landkarte - wie sollen wir es jemals bis ganz nach oben schaffen?
Ich weiss, so darf man nicht denken. Aber manchmal erwischt es mich doch. Ich schüttle den Kopf und zwinge mich, meinen Fokus wieder zurück zu schrauben. Nicht weiter denken als bis Nora. Diese Kleinstadt werden wir voraussichtlich morgen erreichen. Oder am besten gar nicht denken.
In der Mittagspause zieht Wendelin ein Päckchen aus der Fronttasche. Es sind Heimwehpflaster, die uns unsere Nachbarin Mirjam vor der Abreise zugesteckt hat. Bis jetzt habe ich sie gar nicht weiter beachtet. Da ist was drin, sagt Wendelin und zieht einen handgeschriebenen Zettel heraus. Wir falten ihn auseinander. „Ein guter Reisender hat keine festen Pläne“ steht darauf, „und nicht einmal die Absicht anzukommen“. Es ist eine Weisheit von Laotse, die Mirjam zu den Pflastern ist das Päckchen gesteckt hat. Eigenartig, dass der Zettel gerade heute auftaucht.

Am Nachmittag wird die Landschaft offener, es gibt wieder mehr Landwirtschaft und etwas weniger Wald. Ein Plätzchen für unser Zelt finden wir bei Ingrid und Karl Erik, einem älteren schwedischen Paar. Als wir laut Anklopfen (Klingeln gibt es hier oft keine) und Ingrid öffnet bin ich zunächst nicht sicher ob es ihr ganz recht ist. Später, als das Zelt steht, kommt Ingrid vorbei und ich merke, dass ich mich getäuscht habe. Ingrid bringt uns ein Säckchen mit Zuckerschnecken und wir fangen an zu Plaudern, über die Gegend, das Wetter und Ingrids und Karl Eriks Sohn, der Sänger bei der schwedisch-deutschen Hardrockband Jaded Heart ist. Was für liebenswürdige Menschen!